Gut und günstig essen, auch im Alter – Interview mit Laurence Margot

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Das Projekt «Bien manger à petit prix» wird vom Westschweizer Konsumentenverband (FRC) durchgeführt. Das bestehende Angebot wurde auf die Bedürfnisse älterer Menschen angepasst. Im Interview spricht Laurence Margot, Projektleiterin im Kanton Waadt, über Erfolge, Herausforderungen und Erkenntnisse. Im aktuellen Kontext gewinnt die gesunde und kostengünstige Ernährung an Relevanz.
12.12.2022, 12:26

Claudia Kessler (CK) und Esther Oester (EO): Der Westschweizer Konsumentenverband (Fédération romande des consommateurs, FRC) hat den Kurs «Gut essen zum kleinen Preis (Bien manger à petit prix)» im Jahr 2009 entwickelt. Vor einigen Jahren wurde das Angebot an die Zielgruppe der älteren Menschen angepasst (siehe kurze Beschreibung am Ende des Artikels). Was ist heute neu?

Laurence Margot (LM): Die zuständige Organisation, die Waadtländer Sektion des FRC, engagiert sich mit dem Projekt «Bien manger à petit prix» seit vielen Jahren, um die Bevölkerung aufzuklären und zu sensibilisieren. Seit 2020 haben wir ein Angebot, das sich speziell an Menschen ab 65 Jahren richtet. Im Rahmen des Projekts bieten wir interaktive Workshops an. Ziel ist es, umsetzbare Tipps für eine gesunde, genussvolle Ernährung bei kleinem Budget zu geben. Auch andere kantonale Antennen der FRC bieten ähnliche Kurse an.

Natürlich haben wir die Inhalte und Themen der Workshops an die Bedürfnisse der Zielgruppe angepasst. Während wir bei jüngeren Zielgruppen den Fokus auf «fünf Portionen Gemüse und Obst» setzen, liegt bei älteren Menschen der Schwerpunkt auf der Sensibilisierung und der Bedeutung einer eiweissreichen Ernährung. Einige Menschen entwickeln in diesem Alter eine Abneigung gegen Fleisch. Wir stellen ihnen alternative Eiweissquellen wie Hülsenfrüchte vor.

Um die Zielgruppe zu erreichen, wurden etablierte Partnerschaften mit Pro Senectute Waadt und anderen Seniorenorganisationen (Volkshochschule für ältere Menschen, Connaissance 3, Interessengruppen der älteren Menschen, örtliche Freizeitzentren, etc.) sowie mit den Kommunen aktiviert oder initiiert.

Claudia Kessler (CK) und Esther Oester (EO): Stellen wir uns zum Beispiel eine 75-jährige Person vor, die im Kanton Waadt lebt. Wie wird sie auf das Angebot aufmerksam werden? Was können Sie ihr konkret anbieten?

Laurence Margot (LM): Etablierte Partnerschaften mit Schlüsselakteuren, die mit älteren Menschen zusammenarbeiten, erleichtern die Kommunikation und fördern die Mund zu Mund Bewerbung: Zum Beispiel werden die Gruppenkurse unter Angabe aller erforderlichen Details in verschiedenen Flyern von Pro Senectute Waadt ankündigt. Während des Workshops werden die Teilnehmenden darüber aufgeklärt, worauf Menschen über 65 Jahren bei ihrer Ernährung achten sollen, und sie lernen, welche Produkte das Budget schonen und dabei gesund und nachhaltig sind, und wie sich Etiketten entschlüsseln lassen. Der Schwerpunkt liegt auf der Praxis. Mögliche Beispiele des konkreten Inhaltes sind z.B.: die Analyse des optimalen Tellers mit Hilfe der Lebensmittelpyramide, der Vergleich der Etiketten von zwei Fertiggerichten für eine bessere Wahl und die Verkostung eines Linsensalats - denn das Nützliche soll immer mit dem Angenehmen verbunden werden[1]. Die Workshops haben allerdings nicht zum Ziel, den Teilnehmenden das Kochen zu lernen.

Die Teilnehmenden erhalten am Kursende jedoch ein kleines Büchlein « Vive les protéines! (Hoch leben die Eiweisse)» mit leicht nachzukochenden Rezepten für zuhause (die Links finden Sie am Ende des Artikels). Ferner erhalten sie die Möglichkeit, sich mit Gleichaltrigen auszutauschen und die Essensangebote für ältere Menschen in der Region zu entdecken. Zudem werden die Dozentinnen und Dozenten die Bedeutung von Eiweiss ansprechen.

Claudia Kessler (CK) und Esther Oester (EO): Wie bringen Sie in diesen Workshops die Aspekte einer gesunden und ausgewogenen Ernährung mit den Budgetsorgen älterer Menschen mit geringem Auskommen zusammen?

Laurence Margot (LM): In den Workshops vermitteln wird den Teilnehmenden die erforderlichen Kompetenzen, welche sie zum Lesen von Etiketten benötigen. Sie lernen, die Angaben auf den Etiketten der Lebensmittel besser zu verstehen (z.B. Preis pro kg, irreführende Nährwertangaben, Inhaltsstoffe und deren tatsächliche Herkunft). Wir betonen, dass oft nicht das teuerste Produkt am besten schmeckt und am gesündesten ist. Vielmehr sollte die Frage gestellt werden: Handelt es sich um ein Rohprodukt oder um ein industriell verarbeitetes Produkt? Letztere enthalten oft viel Salz, Zucker und minderwertige Fette. Wir ermutigen zum kritischen Lesen von Etiketten.

Informationen und Gespräche sollen die Teilnehmenden in die Lage versetzen, fundierte Entscheidungen zu treffen. Wir empfehlen eine Vielzahl von Proteinquellen (Fleischreduktion zugunsten von Hülsenfrüchten) – aus Kostengründen, aber auch aus Gründen der Nachhaltigkeit (Klimawandel). Und zu guter Letzt behandeln wir auch die Frage der Menge und der Grösse der Portionen beim Einkauf. Denn weniger Lebensmittelverschwendung hat immer Vorteile für das Budget älterer Menschen.

Claudia Kessler (CK) und Esther Oester (EO): Wie viele Workshops konnten Sie seit Beginn dieses Projekts durchführen? Wie viele ältere Menschen haben das Angebot bereits genutzt?

Laurence Margot (LM): Aufgrund der COVID-Pandemie hatte das Projekt 2020 einen schwierigen Start. Da ältere Menschen besonders gefährdet sind, waren wir gezwungen, die Workshops bis April 2021 auszusetzen. Nach Aufhebung der strengen Gesundheitsmassnahmen mussten wir den Betroffenen erst wieder Lust auf Gruppenkurse machen. Auch die Impfpflicht als Teilnahmevoraussetzung hinderte einige Personen an der Teilnahme.

Trotz des schwierigen Starts ist es uns gelungen, das Versäumte nachzuholen. Im Jahr 2021 konnten wir 9 Workshops mit über 60 Teilnehmenden durchführen. Die Anwesenden zeigten grosses Interesse an unseren Vorschlägen. Diesen Erfolg konnten wir 2022 wiederholen und weiter ausbauen. Wir konnten bisher 8 Workshops mit 75 Teilnehmenden durchführen. Bis Jahresende stehen noch zwei Workshops aus (Stand Oktober). Die meisten Teilnehmenden waren zwischen 65 und 85 Jahre alt. Die Beteiligungsquote von Männern an den Workshops ist jedoch mit etwa einem Mann pro Workshop weiterhin gering. Es erfüllt uns mit Genugtuung, dass wir all das mit einem bescheidenen Projektbudget von weniger als CHF 50 000 für die gesamte Projektdauer erreichen konnten.

Claudia Kessler (CK) und Esther Oester (EO): Nur ein Jahr nach dem eigentlichen Beginn der Massnahmen ist es noch zu früh, um etwas zu den Wirkungen sagen zu können. Dennoch: können Sie uns neben den Angaben zu den Resultaten (Anzahl der Workshops und Teilnehmenden) erste Anhaltspunkte zu den beobachteten Auswirkungen sagen? Welche Erkenntnisse können Sie aus der bisherigen Durchführungserfahrung ziehen?

Laurence Margot (LM): Am Ende jedes Kurses erheben wir mit einem Fragebogen bei den Teilnehmenden, wie Sie die vermittelten Kenntnisse umsetzen möchten. Viele geben an, nach dem Workshop ihre Gewohnheiten ändern zu wollen, insbesondere im Hinblick auf die Diversifizierung der Proteinquellen und das genauere Lesen von Etiketten.

Wir haben bereits einige wichtige Punkte erfasst, die uns helfen werden, unser Angebot noch weiter zu verbessern:

  • Gute Erreichung der Zielgruppe durch die Einbindung von Multiplikatoren:innen (z.B. über Stammtische, pflegende Angehörige oder Gruppenleitende). Das Projekt erreicht nicht nur Personen, die an den Workshops teilnehmen. Durch die Sensibilisierung von Multiplikator:innen erreichen wir auch hochaltrige Menschen, die nicht an unseren Kursen teilnehmen können.
  • Starkes Interesse an der Förderung von Synergieeffekten zwischen den Akteuren, die mit der Zielgruppe zusammenarbeiten (Zusammenarbeit mit Pro Senectute Waadt, Connaissance 3, Gemeinden usw.). Über diese Kontakte lassen sich Teilnehmende rekrutieren.
  • Das Projekt leistet einen Beitrag zur Bekämpfung von Einsamkeit: Die Gruppenworkshops wirken sich positiv auf die soziale Teilhabe aus. Am Ende der Workshops laden wir die Teilnehmenden ein, ihre Telefonnummern auszutauschen. Einige von ihnen trafen sich danach zum gemeinsamen Essen.
  • Es waren bisher eher Frauen, die sich für die vom FRC-VD angebotenen Workshops interessierten. Das Beispiel des FRC-Neuchâtel zeigt jedoch, dass bei einer gross angelegten Bewerbung von Kochkursen für alleinstehende Männer sich eine ausreichende Anzahl von Teilnehmenden für diese Kurse finden lässt. Männer sind an Angeboten interessiert, die an ihre spezifischen Bedürfnisse angepasst sind (z.B. wie wähle ich Fertiggerichte aus? Womit kann ich diese Gerichte ergänzen? Was wähle ich im Restaurant? usw.).
  • Die grosse Frage bleibt, wie immer in der Gesundheitsförderung: Wie lassen sich die vulnerabelsten älteren Menschen erreichen, die unser Angebot am meisten brauchen könnten?

Claudia Kessler (CK) und Esther Oester (EO): Vielen Dank für diesen sehr eindrücklichen Überblick über das Projekt «Bien manger à petit prix, séniors». Wir wünschen Ihnen und Ihrem Team viel Erfolg, damit eines Tages die gesamte Bevölkerung Ihres Kantons und darüber hinaus Zugang zu diesen Workshops bekommt. Was gibt es Schöneres, als zum Schluss den Teilnehmenden das Wort zu erteilen – Menschen die auch in ihrem vorgerückten Alter bereit sind, Neues zu lernen:

«Es sind gute Ideen dabei, die man sich merken sollte. Dazu gehört eine Portion Mut, denn ohne Unterstützung neigen wir dazu, immer die gleichen Gerichte zuzubereiten.[2]»

Angaben zu den Personen, die an diesem Interview beteiligt waren:

Laurenz Margot, verantwortlich für das Projekt für die Waadtländer Sektion des FRC. Sie ist diplomierte Ernährungsberaterin (BSc, MAS-UNIL) und verfügt über langjährige Erfahrung im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention. Sie ist Mitglied des FRC-VD-Komitees und der Ernährungskommission. Gemeinsam mit vielen Partnern engagiert sie sich im Kanton Waadt für eine ausgewogene und schmackhafte Ernährung für die über 65-Jährigen.

Claudia Kessler und Esther Oester sind Mitarbeiterinnen von  PHS Public Health Services) und haben das Interview im November 2022 im Auftrag von Gesundheitsförderung Schweiz geführt und bearbeitet.

 


 

[1] Auszug eines im Oktober/November 2021 erschienenen Artikels der Zeitschrift «FRC Mieux choisir» (Weitere Informationen finden Sie unter den Links)

[2] Auszug eines im Oktober/November 2021 erschienenen Artikels der Zeitschrift «FRC Mieux choisir» (Weitere Informationen finden Sie unter den Links)

Einige Eckpunkte des Projekts «Bien manger à petit prix»


Ziele und Angebot


Beim Projekt BMPP (Bien manger à petit prix), welches sich an die älteren Menschen richtet, geht es darum, Workshops (Gruppenkurse) für die Zielgruppe von Menschen über 65 Jahren anzubieten. Ziel ist es, umsetzbare Tipps für eine gesunde, genussvolle Ernährung bei kleinem Budget zu geben. Diese Kurse werden von erfahrenen und geschulten Kursleitenden des FRC geleitet. Die FRC bietet ähnliche Kursangebote auch über die kantonalen Antennen in weiteren Kantonen und für weitere Zielgruppen an.


Zuständige Organisationen


Fédération Romande des Consommateurs/Sektion Waadt, www.frc.ch, in Kooperation mit Organisationen und Verbänden älterer Menschen und Kommunen.


Projektdauer


01.05.2020 – 31.12.2023


Thematische Inhalte des Projekts


  • Den ganzen Tag über gut essen
  • Lebensmitteletiketten verstehen
  • Aufnahme von hochwertigem Eiweiss 
  • Ernährung und Budget
  • Lebensmittelverschwendung
  • Flüssigkeitszufuhr
  • Einkauf von saisonalen Produkten aus der Region

Finanzierung


FRC, Institutionelle Partner, 50 % Kofinanzierung durch Gesundheitsförderung Schweiz