Gesundheitsförderung im Alter

Projekt «geben&annehmen»: Empfehlungen für das Freiwilligenengagement im Alter

News12
Organisierte Freiwillige sind eine wichtige Akteursgruppe der Gesundheitsförderung im Alter. Das Projekt geben&annehmen sammelte Erfahrungen, Empfehlungen und Praxishilfen. Kantone, Organisationen und Gemeinden, die das Freiwilligenengagement fördern, finden in einem kürzlich veröffentlichten Bericht wertvolle Anregungen zum Thema. Eine Auswahl wird im Beitrag vorgestellt.
24.06.2022, 12:43

Projekt «geben&annehmen»: Sammlung von Empfehlungen und Praxishilfen für das organisierte Freiwilligenengagement

Freiwilligenengagement ist unerlässlich zur Förderung der sozialen Teilhabe, der gesellschaftlichen Kohäsion und der demokratischen Strukturen. Das organisierte Freiwilligenengagement für ältere Menschen spielt in sorgenden Gemeinschaften eine wichtige Rolle und ergänzt Gemeindestrukturen und die Arbeit von NGOs. Für Menschen aus sozial benachteiligten Gruppen kann dieses Engagement besonders wertvoll sein. Im Projekt «geben&annehmen», welches von Gesundheitsförderung Schweiz unterstützt wird, wurden Erfahrungen, Empfehlungen und Praxishilfen für Gemeinden und NGOs zusammengestellt, um dieses Engagement zu fördern. Dieser Beitrag stellt zu zwei ausgewählten Fragen Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus einem Bericht vor, der Ende 2021 veröffentlicht wurde.

Fortbildungen für Freiwillige

Freiwilligen stehen verschiedenste Austausch- und Kursmöglichkeiten zur Verfügung. Allerdings fehlen Angebote zur Sensibilisierung und Befähigung der Freiwilligen zu den Themen Scham und Kontrollverlust sowie Generativität. Oftmals haben ältere Personen Widerstände, Unterstützung anzunehmen, auch wenn sie zunehmend darauf angewiesen sind. Das kann aus medizinischen (Demenz, Depression), aus psychologischen oder sozialen Gründen sein. Die Angst vor dem Verlust der Selbstbestimmung sowie Scham- und Schuldgefühle erschweren die Annahme von Unterstützung. Die Haltung, dass man etwas zurückgeben sollte, ist bei älteren Menschen weit verbreitet. Das Wertesystem der sogenannten Generativität hingegen, versteht Sorge und Fürsorge für Menschen einer anderen Generation als sinngebende langfristige Ausgleichsbeziehung, die auch Familiengrenzen überschreiten kann.

Fortbildungen für weitere Zielgruppen, wie die sogenannten neuen Freiwilligen und Freiwillige aus der Migrationsbevölkerung, fehlen weitgehend. Sie müssen zusätzliche Anforderungen erfüllen. Die neuen Freiwilligen wollen mitbestimmen, auf Augenhöhe behandelt werden, kürzere Verpflichtungen eingehen und sind stark auf sinnstiftende Engagements ausgerichtet etc (Samonchowiec, J., Thalmann, L. und Müller, A. (2018). Die neuen Freiwilligen. GDI. Link). Bei der Entwicklung von neuen Angeboten müssen die neuen Freiwilligen partizipativ eingebunden werden. Dasselbe gilt für Freiwillige aus der Migrationsbevölkerung, die zwar gut organisiert sind und viel Freiwilligenengagements leisten. Viele haben jedoch kaum Zugang zu den bestehenden Angeboten, da diese oftmals zu wenig auf die Bedürfnisse der Migrationsbevölkerung ausgerichtet sind. (siehe neue Studie und Film zum Thema in der Linksammlung am Ende des Beitrags).

Wertschätzung für Freiwillige fördern

Die Wertschätzung für Freiwillige ist wesentlich und kann unterschiedlich ausgedrückt werden: traditionelle Formen der Wertschätzung umfassen Glückwunschkarten an Geburtstagen oder ein gemeinsames Weihnachts- oder Jahres-Abschlussessen. Weitere Formen reichen von der Dankeskarte über Zeitgutschriften und Tauschmodelle bis zu Preisen für Einzelleistungen. In jedem Fall ist es sehr wichtig, dass die Wertschätzung adressat_innengerecht zum Ausdruck gebracht wird.

Dabei ist zu beachten: Öffentliche Wertschätzung kann von Freiwilligen ambivalent aufgenommen werden, z.B. aufgrund einer Haltung, dass Wohltätigkeit mit Bescheidenheit einhergeht. Herausfordernd bleibt der Übergang von Freiwilligenengagement und bezahltem Einsatz.

Nebst den Freiwilligen sollten auch Fachpersonen wertgeschätzt werden, die Freiwillige vermitteln: z.B. Ärzteschaft, Sozialarbeitende oder Mitarbeitende Spitex. Menschen, die Unterstützung in Anspruch genommen haben und gegebenenfalls über ihren Schatten gesprungen sind, freuen sich ebenfalls über eine wertschätzende Geste.

Weitere Tipps zur Förderung des Freiwilligen-Engagements finden sich z.B. hier:

  • Auf der Website www.dossier-freiwillig-engagiert.ch sind Anregungen, aber vor allem Vorlagen und Textbausteine für alle Akteur_innen im Bereich der Freiwilligenarbeit zu finden (z.B. ein Nachweis für freiwilliges Engagement).
  • Es bestehen bereits verschiedene Modelle von Zeitgutschriften, z.B. Fondation KISS, Tauschmodelle und neuerdings auch die Möglichkeit, dass Angehörige für ihre Betreuungsleistungen via Anstellung bei einer Spitex finanziell abgegolten werden. Seit 2021 sind Betreuungsurlaube und Betreuungsgutschriften zur Pflege von Angehörigen (Kindern und Erwachsenen) sowie weitere Massnahmen gesetzlich verankert. Alle diese Modelle stehen am Übergang zwischen Freiwilligenengagement und bezahltem Einsatz.

Kulturwandel

Was in allen besprochenen Themenbereichen der Sammlung auffällt, ist, dass ein Kulturwandel im Gange ist: Unterstützung geben und Unterstützung annehmen werden stärker in ihrer Wechselwirkung zueinander gedacht. Diese Gegenseitigkeit ist auch charakteristisch für Sorgende Gemeinschaften: Sorgenetzwerke werden nach dem Prinzip des Austausches von sozialen und Versorgungs-Leistungen auf Augenhöhe aufgebaut und gepflegt.

Heute ist es oft schwieriger, ältere Menschen zu finden, die Unterstützung annehmen, als Freiwillige zu finden, die Unterstützung anbieten möchten. Hier braucht es eine systematischere Zusammenarbeit mit den Betroffenen und ihren Organisationen (z.B. Graue Panther). Sie können so direkt für das Annehmen von Unterstützung sensibilisiert und eingebunden werden. Dabei sollten die Organisationen benachteiligter Bevölkerungsgruppen nicht vergessen werden. Dasselbe gilt für die (Fach-)Personen, die an einer vermittelnden Position zwischen Geben und Annehmen stehen (z.B. Spitex, Sozialarbeitende, Ärzt_innen, Seelsorgende). Sie können noch vermehrt dazu sensibilisiert werden, das Annehmen von Unterstützung zu motivieren.

Der neue Modus der Gegenseitigkeit birgt ein grosses Potenzial zur Optimierung des organisierten Freiwilligenengagement.

Weiterführende Informationen zum Thema finden sich im Bericht «Eine Sammlung von Erfahrungen, Empfehlungen und Praxishilfen für NGOs und Gemeinden» (siehe Linksammlung).

Kontakt: Corina Salis Gross (Public Health Services, PHS)
E-Mail: salisgross(at)public-health-services.ch; Telefon: 031 331 21 22

Links zu weiterführenden Informationen:

Hinweis

Der Frage, wie sich die Annahme von Unterstützung im Alter fördern lässt, geht auch das neue Arbeitsdokument «Wie lässt sich die Annahme von Unterstützung im Alter fördern?» nach. Claudia Kessler hat darin im Auftrag von Gesundheitsförderung Schweiz Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Praxis zusammengestellt.

 

Dokument

Das Dokument findet sich auf der Webseite von geben&annehmen. Es kann zudem über den unten angegebenen Kontakt als PDF bestellt werden.

Kontakt: Claudia Kessler, kessler(at)public-health-services.ch