Alterspolitik auf Augenhöhe mit Seniorinnen und Senioren im Kanton Aargau
Im Kanton Aargau wird die Alterspolitik seit Beginn partizipativ gestaltet. 2008 wurde gesetzlich verankert (Pflegegesetz § 8), dass der Kanton eine Alterskommission zur Beratung der Regierung führt. Diese Kommission nennt sich «Forum für Altersfragen» und besteht aus 20 Mitgliedern: Gemeinden, Regionen, Organisationen, Institutionen und Seniorinnen und Senioren. 2011 hat das «Forum für Altersfragen» den ersten kantonalen Alterskongress organisiert und die Bevölkerung, Gemeinden und Organisationen zur Mitgestaltung der zukünftigen Alterspolitik eingeladen. Aus diesem Kongress entstand die Forderung nach einer zuständigen Stelle in der Verwaltung (Fachstelle Alter, gegründet 2012) und nach einer strategischen Grundlage für die kantonale Alterspolitik (verabschiedet durch die Regierung 2013). Seither funktioniert die kantonale Alterspolitik mit folgenden Elementen:
- Gremium zur Beratung der Regierung: «Forum für Altersfragen»
- Strategische Grundlage: «Leitsätze zur Alterspolitik im Kanton Aargau»
- Zuständige Stellen in der Verwaltung: «Fachstelle Alter» und «Programm Gesundheitsförderung im Alter»
Partizipation als Mehrwert für die Alterspolitik
Der Alterskongress ist das grösste partizipative Gefäss der Aargauer Alterspolitik. Er findet alle zwei Jahre statt, und es nehmen jeweils zwischen 200 und 380 Personen daran teil. Seit 2017 wird der Alterskongress mit der Grossgruppenmethode World Café organisiert. Die Teilnehmenden sind Gemeinderätinnen und Gemeinderäte, Vertreterinnen und Vertreter von Organisationen und Institutionen, Seniorinnen und Senioren sowie interessierte Privatpersonen.
Der Alterskongress 2022 fand am Samstagmorgen des 14.Mai statt. Das Programm sah drei Hauptthemen und drei Gesprächsrunden vor. Die Themen kommunale Alterspolitik, Gesundheitsförderung im Alter und Partizipation wurden mittels eines kurzen Referates eingeführt und danach an Tischen mit je 8 Teilnehmenden diskutiert. Auf den Flipchart-Tischtüchern wurden die Diskussionspunkte notiert. Die wichtigsten Erkenntnisse der Tischrunde wurden mittels Handy in eine Word Cloud geschickt, sodass bereits am Kongress ein Gesamtbild der Resultate entstehen konnte. Nach jeder Gesprächsrunde wurden die Tische gewechselt, so dass die Teilnehmenden mit etwa 20 anderen Teilnehmenden diskutieren konnten.
Die Mischung der Zielgruppen erlaubt jeweils spannende Gespräche, aber auch einen Kontakt mit den anderen Zielgruppen, der sonst nicht immer stattfinden kann. Am Alterskongress wird somit nicht über die älteren Menschen gesprochen, sondern mit ihnen. Es entsteht auch eine Diskussion mit «den Gemeinden», also Gemeinderätinnen und Gemeinderäten oder Personen aus der Verwaltung. Durch den direkten Kontakt kann ein Wunschkonzert verhindert werden, welches alle Punkte enthält, in denen sich die Gemeinden noch engagieren müssten.
Der Alterskongress ist aber nicht nur eine spannende Veranstaltung für die Teilnehmenden – er ist ein zentrales Instrument der kantonalen Alterspolitik. Mit dem Alterskongress werden die Bedürfnisse der wichtigsten Zielgruppen der Alterspolitik abgeholt und Erkenntnisse für die weitere Bearbeitung der Alterspolitik erlangt. Die Resultate werden nach der Auswertung jeweils publiziert und fliessen direkt in die Arbeit der Fachstelle Alter und Familie ein. Aus den früheren Alterskongressen gingen jeweils konkrete Ergebnisse hervor, z.B. das 2021 publizierte digitale Bildungsmodul «Wohnen im Alter» für Gemeinden oder auch die Ausstellung «Alt? Bilder und Gedanken zum Alter» (www.altersbilder.ch).
Gesundheitsförderung im Alter ein Thema am kantonalen Alterskongress
Das Schwerpunktprogramm Gesundheitsförderung im Alter (KAP Modul B) ist im Kanton Aargau seit Januar 2022 im Aufbau. Da von 2007 bis 2017 im Kanton Aargau bereits ein Programm Gesundheitsförderung im Alter existierte und dieses damals mit der Fachstelle Alter zusammenarbeitete, wurde das Thema Gesundheitsförderung im Alter frühzeitig als Programmpunkt für den kantonalen Alterskongress 2022 definiert. Dies aus gutem Grund, denn wo gibt es sonst die Möglichkeit, dass Gemeindevertreterinnen und Gemeindevertreter, Fachorganisationen sowie Seniorinnen und Senioren zum Thema Gesundheitsförderung im Alter in den Austausch kommen? Durch ein Inputreferat von Claudia Kessler, Public Health Services, konnte aufgezeigt werden, welche Rolle eine Gemeinde in der Gesundheitsförderung spielen kann. Sie stützte sich im Referat auf die kürzlich publizierte Broschüre von Gesundheitsförderung Schweiz «Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich! Argumente und Handlungsfelder für Gemeinden und Städte» (Link) ab. Die anschliessende Tischdiskussion wurde einerseits als visualisiertes Protokoll (siehe Bild) zusammengefasst und anderseits via Mentimeter zu einer Word Cloud zusammengetragen.
Gelebte Partizipation auf weiteren Ebenen
Die kantonale Alterspolitik ist nicht nur am Alterskongress partizipativ gestaltet. Partizipation entspricht einer Grundhaltung und wird im Kanton in möglichst vielen Projekten gelebt. Dabei kommt es auch auf die Projektform und die Anforderungen an, welche Stufe der Partizipation umgesetzt werden kann. Es existieren verschiedene Modelle zu den Stufen der Partizipation in der Gesundheitsförderung, siehe z.B. Abbildung 2: Stufen der Parizipation (Wright, Block, & von Unger, in: Wright 2010).
Bei der Erarbeitung der Broschüre «Älter werden im Kanton Aargau», welche für den Bedarf jeder Gemeinde angepasst werden kann, wurde zum Beispiel mit einer Resonanzgruppe gearbeitet, welche über die Inhalte der Broschüre entscheiden konnte. Interessant war dabei die Erkenntnis, dass die partizipative Erarbeitung der Inhalte gut funktioniert hat. Bei der Gestaltung der Broschüre waren die Meinungen hingegen zum Teil so unterschiedlich, dass kein Konsens gefunden werden konnte. Bei der Arbeitsgruppe zur Erarbeitung der Ausstellung «Alt?» wurde die Partizipation weiter ausgebaut. Die Arbeitsgruppe wurde von der Fachstelle zusammengesetzt. Das Konzept der Ausstellung, die Suche nach den dargestellten Personen und die Bildsprache wurden durch die Arbeitsgruppe entschieden und organisiert. Das Projekt «Weiterbildung für Alterskommissionen» ist wiederum eine Ko-Kreation zwischen dem Aargauischen Seniorenverband und der Fachstelle Alter und Familie. Die Idee entstand im Gespräch zwischen diesen beiden Partnern und das Projekt wird gemeinsam organisiert.
Erkenntnisse aus diesem Projekt sind, dass Ko-Kreation erst dann entstehen kann, wenn Kontakte geknüpft sind und es Raum für Entwicklungen gibt. Dies ist in der Arbeit der kantonalen Verwaltung nicht immer gegeben. Wenn Themen und Projektideen vordefiniert sind, ist es schwierig, Partizipation auf dieser Stufe zu realisieren. Für Partizipation braucht es nicht nur Raum und Zeit, sondern auch Personen, die sich vorstellen können, gemeinsam zu arbeiten. Partizipation ist eine Kultur, die nicht nur durch die Verwaltungsstelle oder Organisation gelebt werden muss – auch das Gegenüber muss Lust, Zeit und die Ressourcen haben, sich auf diese Weise zu engagieren. Bei der Analyse der partizipativen Alterspolitik im Kanton Aargau muss kritisch festgestellt werden, dass die Partizipation nicht repräsentativ ist. Aktuell werden in den Projekten nicht alle Bevölkerungsgruppen gleich stark miteinbezogen. Dies ist ein Punkt, an dem in Zukunft noch gearbeitet wird.
Fazit:
Über die Diskussionen am Alterskongress, an welchem sich über 180 Personen beteiligten, konnten die Bedürfnisse der verschiedenen Teilnehmenden zum Thema Gesundheitsförderung im Alter abgeholt werden, die nun in das Schwerpunktprogramm einfliessen können. So ist ein vielfach genanntes Anliegen, dass generationenübergreifende Projekte sowie Bewegungsangebote gefördert werden sollen. Daraus folgt, dass eine Priorität auf die Multiplikation von «Hopp-la Fit», einem generationenübergreifenden Bewegungsangebot, gelegt wird.
Der Kongress hat aufgezeigt, dass der Einbezug von Seniorinnen und Senioren in der Sturzpräventionskampagne wichtig ist, damit alle Gruppen erreicht werden können. Diese Erkenntnis kann nun direkt und stärker in die Konzeptionierung einfliessen.
Der Alterskongress hat aber nicht nur auf das Schwerpunktprogramm einen Einfluss. Die teilnehmenden Seniorinnen und Senioren realisieren, dass sie in den Gemeinden und in Organisationen eine wichtige Rolle einnehmen und sich auf dieser Ebene für gesundheitsfördernde Angebote weiterhin einbringen können. Denn sie wissen am besten, was funktioniert.
Eine wichtige Erkenntnis war zudem, dass Partizipation auf Augenhöhe stattfinden muss. Dieser, aus anderen partizipativen Projekten bekannten, Ansicht sind auch die Autorin und der Autor dieses Beitrags. Sie würden diese Kernaussage jedoch noch erweitern: Es ist auch wichtig, die Informationen, Erkenntnisse und Ideen, die in partizipativen Prozessen entstehen, zu hören und aufzunehmen. Ein weiteres Element, um Partizipation gewinnbringend umzusetzen, ist schliesslich, sich gemeinsam auf den besprochenen Weg zu machen.
Autor_innen: Severin Eggenschwiler, Programmleiter Gesundheitsförderung im Alter, und Christina Zweifel, Leiterin Fachstelle Alter und Familie
Weiterführende Informationen:
Kanton Aargau:
- Fachstelle Alter und Familie: www.ag.ch/alter
- Schwerpunktprogramm Gesundheitsförderung im Alter: www.ag.ch/gfimalter
- Alterskongress mit Unterlagen zu Alterspolitik, Gesundheitsförderung im Alter, Partizipation: www.ag.ch/alterskongress
Weitere Informationen:
- Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich! Argumente und Handlungsfelder für Gemeinden und Städte, Gesundheitsförderung Schweiz (2022): PDF.
- Mitmischen, bitte! Wegweiser für die partizipative Dorf-, Stadt- und Quartierentwicklung zur Stärkung der Gesundheit und Lebensqualität. Gesundheitsamt Graubünden (2019): PDF.