Gesundheit bei der Arbeit: Emotionale Erschöpfung steigt weiter an, Stress auf hohem Niveau stabil – Ergebnisse des Job-Stress-Index 2022
Stress hoch, aber stabil
Der Job-Stress-Index, der das durchschnittliche Verhältnis von arbeitsbezogenen Belastungen und Bewältigungsmöglichkeiten (Ressourcen) der Erwerbstätigen in der Schweiz abbildet und somit als «Stress-Mittelwert» der Schweiz gelten kann, verbessert sich leicht. Das Stressniveau ist seit 2018 stabil, jedoch deutlich höher als noch 2014 und 2016.
Dies zeigt eine repräsentative Befragung von 3022 Erwerbstätigen zwischen 16 und 65 Jahren. Sie wurden im Februar 2022 im Rahmen eines seit 2014 regelmässig von Gesundheitsförderung Schweiz in Zusammenarbeit mit der Universität Bern1 und der ZHAW2 durchgeführten Monitorings befragt. Neben dem Job-Stress-Index werden in diesem Monitoring Zusammenhänge zwischen arbeitsbezogenem Stress, Gesundheit und Produktivität ermittelt.
Wie bereits bei der letzten Befragung im Jahr 2020 (29.6 %) weisen beinahe drei von zehn Erwerbstätigen (28.2 %) einen Job-Stress-Index im kritischen Bereich auf.Diese Erwerbstätigen berichten über deutlich mehr Belastungen als Ressourcen. So erleben sie beispielsweise mehr Zeitdruck oder auch mehr Konflikte am Arbeitsplatz und erhalten weniger Handlungsspielraum oder allgemeine Wertschätzung.
Neben den Belastungen und Ressourcen am Arbeitsplatz, die im Job-Stress-Index enthalten sind, sind durch die Covid-19-Pandemie neue Belastungen relevant geworden: Die Sorge, dass man selbst oder jemand aus dem engsten Umfeld ernsthaft an Covid-19 erkranken könnte, erweist sich genauso als zusätzliche Belastung wie die empfundene soziale Isolation und die erhöhte arbeitsbezogene Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien. Diese pandemiespezifischen Belastungen schlagen sich zwar nicht im Job-Stress-Index nieder, zeigen aber einen Zusammenhang mit der Gesundheit der Erwerbstätigen, wie beispielsweise mit der emotionalen Erschöpfung.
Emotionale Erschöpfung steigt
Ein über einen längeren Zeitraum bestehendes Ungleichgewicht zwischen Belastungen und Ressourcen kann sich auf die Gesundheit auswirken. Ein Indikator dafür ist die emotionale Erschöpfung. Der Anteil der Erwerbstätigen, die sich emotional erschöpft fühlen, übersteigt 2022 mit 30.3 % erstmals seit 2014 die 30 %-Marke.
Hohe volkswirtschaftliche Kosten
Schlussendlich kann Stress auch dazu führen, dass die Produktivität von Erwerbstätigen reduziert ist, entweder durch Abwesenheit aufgrund von Krankheit (Absentismus) oder durch Anwesenheit trotz eingeschränkter Leistungsfähigkeit (Präsentismus). Dies verursacht Produktivitätsverluste von durchschnittlich 14.9 % der Arbeitszeit.
Würde man, beispielsweise mithilfe von Massnahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM), für alle Erwerbstätigen in der Schweiz ein zumindest ausgeglichenes Verhältnis von Belastungen und Ressourcen erreichen, könnte die Schweizer Wirtschaft das ökonomische Potenzial von rund 6.5 Mrd. CHF (2020: 7.6 Mrd. CHF)ausschöpfen. 1.5 Mrd. CHF könnten durch die Reduktion von Absentismus und 5 Mrd. CHF durch die Reduktion von Präsentismus wieder zur Produktivität beitragen.
Systematisches BGM als Antwort
Noch ist das Verhältnis von Ressourcen und Belastungen ausgeglichen. Die getroffenen Massnahmen sowie die Bemühungen vieler Unternehmen und Mitarbeitenden scheinen zu einer insgesamt guten Bewältigung der pandemischen Krise beigetragen zu haben. Dennoch sollten das hohe Niveau des Job-Stress-Index sowie der langsame, aber stetige Anstieg des Anteils von emotional erschöpften Erwerbstätigen als Warnsignale verstanden werden.
Thomas Mattig, Direktor von Gesundheitsförderung Schweiz, betont daher: «Umso wichtiger ist es, Belastungen am Arbeitsplatz wo immer möglich zu minimieren und Ressourcen zu fördern.» Gefragt, was ein Unternehmen dafür tun kann, rät Thomas Mattig in einem ersten Schritt zur Analyse der Ressourcen und Belastungen der Mitarbeitenden im eigenen Unternehmen, beispielsweise mit der Job-Stress-Analysis, damit geplant und zielgerichtet Massnahmen abgeleitet und umgesetzt werden können. Ein systematisches betriebliches Gesundheitsmanagement hilft gerade in Krisenzeiten, die Gesundheit der Mitarbeitenden zu schützen und zu stärken. Denn, so ist auch Thomas Mattig der Überzeugung: «Mitarbeitende sind das wichtigste Gut eines Unternehmens, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels. Unternehmen sollten Sorge zu ihnen tragen.»
Neueste Entwicklungen, wie Unternehmen die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden fördern und erhalten können, werden bei der 18. Nationalen Tagung für betriebliches Gesundheitsmanagement am 31. August 2022 präsentiert und diskutiert (www.bgm-tagung.ch). Weitere Tipps, wie sich die psychische Gesundheit, die im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie in den Vordergrund gerückt ist, stärken lässt, finden sich bei der Kampagne «Wie geht’s dir?».
Weitere Informationen
Weitere Informationen zum Job-Stress-Index finden Sie unter www.job-stress-index.ch.
Detaillierte Ergebnisse zu den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Arbeitsbedingungen, Gesundheit und Produktivität der Erwerbstätigen in der Schweiz basierend auf einer Längsschnittstudie mit drei Messzeitpunkten (2020, 2021 und 2022) werden Ende 2022 publiziert.
Für weitere Auskünfte oder Fragen steht Ihnen die Medienstelle von Gesundheitsförderung Schweiz per E-Mail medien(at)gesundheitsfoerderung.ch zur Verfügung.
Gesundheitsförderung Schweiz
Gesundheitsförderung Schweiz ist eine Stiftung, die von Kantonen und Versicherern getragen wird. Mit gesetzlichem Auftrag initiiert, koordiniert und evaluiert sie Massnahmen zur Förderung der Gesundheit und zur Verhütung von Krankheiten (Krankenversicherungsgesetz, Art. 19). Die Stiftung unterliegt der Kontrolle des Bundes. Oberstes Entscheidungsorgan ist der Stiftungsrat. Die Geschäftsstelle besteht aus Büros in Bern und Lausanne. Jede Person in der Schweiz leistet einen monatlichen Beitrag von 40 Rappen zugunsten von Gesundheitsförderung Schweiz, der von den Krankenversicherern eingezogen wird.
1 Lic.phil. Sibylle Galliker, Dr. Ivana Igic, Prof. Dr. Achim Elfering, Prof. em. Dr. Norbert Semmer
2 Dr. Beatrice Brunner, Dr. Christoph Thommen